Verbindungen zwischen Frankreich und der Schweiz gehen über Stromleitungen hinaus
An einer Veranstaltung der französischen Botschaft und des Nuklearforums Schweiz am 7. März 2024 in Bern referierten Botschafterin Marion Paradas, Laurent Kueny, Direktor für Energie in der Generaldirektion für Energie und Klima, und Marie-Agnès Berche von Électricité de France (EDF) vor rund 90 Gästen aus Wirtschaft und Politik über die französisch-schweizerischen Beziehungen im Bereich der Kernenergie und über die Bedeutung der Technologie in den beiden Ländern.
Laut Marion Paradas, der Botschafterin Frankreichs in der Schweiz, trägt die Kernenergie in Frankreich und der Schweiz zu grossen Teilen zur Sicherung der Energieversorgung bei. Sie sei sogar eine Verbindung, die physisch zwischen den beiden Ländern besteht, durch den Austausch über das Stromnetz. «Sie muss daher weiterhin eine Priorität der französisch-schweizerischen Zusammenarbeit bleiben», sagte Paradas. Weiter bezeichnete sie den in der Schweiz erzeugten Atomstrom als «lebenswichtige Garantie für die Eidgenossenschaft in einem Kontext voller Herausforderungen»: die Sicherung der Energiesouveränität, während der Krieg in der Ukraine an die Anfälligkeit der Versorgung mit fossilen Energieträgern erinnert; die Notwendigkeit eines CO2-freien Energiemix, um bis 2050 CO2-Neutralität zu erreichen; die Deckung des Strombedarfs der Schweiz zu gewährleisten, während das Land wirtschaftlich und demografisch weiter wächst.
Glücksfall Kernenergie
Frankreich schätze sich glücklich, über Kernenergie zu verfügen, zitierte Paradas die Worte des französischen Staatspräsidenten bei einem Staatsbesuch in der Schweiz. Nach einem schwierigeren Jahr 2022 gewinne der Kernkraftwerkspark Frankreichs nun wieder an Leistung, wovon die Nachbarländer ebenfalls profitieren würden. Dank der 56 Reaktoren auf französischem Boden sei Frankreich im Jahr 2023 wieder der grösste Nettoexporteur von Strom in Europa geworden. Die Wartung der Kernkraftwerke werde fortgesetzt und die Sicherheit weiter erhöht.
Dank der elf grenzüberschreitenden Stromverbundleitungen diene der in Frankreich ohne Treibhausgasemissionen und konstant erzeugte Strom auch der Schweiz. Frankreich exportiere das Fünffache des jährlichen Gesamtstromverbrauchs des Kantons Genf in die Schweiz und leiste somit einen Beitrag zur Versorgungssicherheit der Schweiz. «Die Kernenergie steht also im Zentrum unserer Beziehungen» so Paradas. «Frankreich möchte daher seine Bewegung zur Wiederbelebung der zivilen Kernenergie durch institutionelle, wissenschaftliche, akademische und industrielle Kooperationen über ein breites Spektrum an Aktivitäten teilen. Angesichts der Herausforderungen in den Bereichen Klima, Wirtschaft und Souveränität haben Frankreich und die Schweiz eine Chance, nämlich die Kernenergie, und immense Perspektiven für die bilaterale Zusammenarbeit.»
Beitrag zum Abschluss eines Stromabkommens mit der EU
Hans-Ulrich Bigler, Präsident des Nuklearforums, verwies auf die seit 1970 bestehende Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und Frankreich im Bereich der Kernenergie. In dieser Zeit wurden die Kernkraftwerke Fessenheim, Cattenom und Bugey mit finanzieller Beteiligung der Schweiz gebaut. «Diese französisch-schweizerische Zusammenarbeit trug und trägt massgeblich zu einer sicheren und klimafreundlichen Energieversorgung in Europa bei», sagte Bigler. Die Schweiz und Frankreich hätten jedoch im Bereich der Kernenergie sehr unterschiedliche Wege eingeschlagen. Während Präsident Emmanuel Macron einen massiven Ausbau der Kernenergie und damit eine echte nukleare Renaissance verkündet hat, soll die Schweiz diese Art der Stromerzeugung aufgeben. in der Schweiz steht derzeit laut Bigler nicht der Bau neuer Kernkraftwerke im Vordergrund, sondern der langfristige Betrieb der bestehenden Anlagen. Dies solle aber keinesfalls ein Hindernis für einen möglichen Ausbau der französisch-schweizerischen Zusammenarbeit darstellen. Möglichkeiten für vertiefte Zusammenarbeit sieht Bigler etwa im Bereich der Lieferketten, der langfristigen Verträge oder der Ausbildung im Bereich der Nukleartechnik.
Die Schweiz nimmt aktuell nicht am europäischen Binnenmarkt teil. Ein Stromabkommen mit der Europäischen Union würde helfen, die Stromversorgung zu sichern. «Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass die Entwicklung der französisch-schweizerischen Zusammenarbeit zum Abschluss eines Stromabkommens mit der Europäischen Union beitragen wird», so Bigler abschliessend.
«Beispiellose Wiederbelebung der Kernenergie»
Hauptredner des Anlasses war Laurent Kueny, Direktor für Energie in der Generaldirektion für Energie und Klima. Sein Referat lief unter dem Titel «Antwort auf die dreifache Herausforderung der Souveränität, der Wettbewerbsfähigkeit und der Beschleunigung des Kampfes gegen den Klimawandel». Da sich Frankreich vor mehreren Jahrzehnten für die Unabhängigkeit im Stromsektor und für die Kernenergie entschieden hat, habe es heute einen Vorsprung bei der Dekarbonisierung und der Wettbewerbsfähigkeit seines Stroms, führte Kueny aus. Elektrizität mache heute etwas mehr als ein Viertel des Endenergieverbrauchs in Frankreich aus. Sie sei dank der Erzeugung aus Kernkraft (ca. 65% im Jahr 2022) und erneuerbaren Energieträgern (ca. 25% im Jahr 2022) überwiegend dekarbonisiert. Wie in den meisten grossen Industrieländern werde der Energiemix in Frankreich jedoch noch immer von fossilen Energieträgern dominiert: 37% des Endenergieverbrauchs entfallen auf Erdöl und 21% auf Erdgas. Um bis 2050 CO2-neutral zu werden und von fossilen Brennstoffen wegzukommen, unternehme Frankreich folgende Schritte:
- Senkung des Energieverbrauchs um 40-50% mit Massnahmen zur Energieeinsparung und -effizienz,
- beschleunigte Entwicklung aller erneuerbarer Energien: Biomethan, flüssige Biobrennstoffe, Biomasse, Geothermie, erneuerbare Elektrizität etc.
- massive Elektrifizierung und Ausbau der Kapazitäten für die kohlenstofffreie Stromerzeugung, da der Strombedarf bis 2050 um 55% steigen soll.
«Diese Ziele veranlassen Frankreich zu einer beispiellosen Wiederbelebung der Kernenergie, die durch die Verlängerung des bestehenden Reaktorparks und den Start eines neuen Programms für Kernreaktoren erreicht werden soll», so Kueny.
Die Rolle der EDF in Frankreich und weltweit
Zum Abschluss der Veranstaltung stellte Marie-Agnès Berche, Direktorin für Geschäftsentwicklung in der Direktion für Entwicklung der Électricité de France (EDF), die französischen KKW-Neubauprojekte vor. Sechs EPR2-Reaktoren sollen im nächsten Jahrzehnt in Betrieb genommen werden und Studien zur Realisierung von 13 zusätzlichen GW an Kernenergie, was 8 EPR2 entspricht, eingeleitet werden. Darüber hinaus ist die EDF an zahlreichen mehr oder weniger fortgeschrittenen Projekten in verschiedenen Staaten beteiligt. Die zwei im Bau befindlichen EPR im britischen Hinkley Point stellen derzeit laut Berche die grösste Baustelle der Welt dar. Neben der 1600-MW-Auslegung bietet EDF auch den kleineren EPR1200 an sowie den Small Modular Reactor Nuward mit einer Leistung von 340 MW.
Das erneute weltweite Interesse an der Kernenergie biete den europäischen Ländern und ihrer Nuklearindustrie eine grosse Chance. In den nächsten zehn Jahren sieht Berche einen greifbaren Markt für grosse Reaktoren und ein wachsendes Interesse an SMR. EDF möchte zum Erfolg eines europäischen Nuklearprogramms beitragen, indem es eine Strategie rund um europäische Technologien und Industrien entwickelt. Das Unternehmen verfügt über bedeutende Vorteile, insbesondere als souveräner europäischer Betreiber und als einziger, der in Europa Reaktoren der dritten Generation baut, so Berche.
Quelle
M.R.