Neue Verordnungen im Strahlenschutz
Die gesetzlichen Grundlagen im Strahlenschutz wurden an neue wissenschaftliche Erkenntnisse, an technische Weiterentwicklungen und an internationale Richtlinien angepasst. Die Schweizer Bevölkerung soll damit noch besser vor ionisierender Strahlung geschützt werden. Der Bundesrat hat dazu im April 2017 die entsprechenden Verordnungen im Strahlenschutz verabschiedet. Sie treten am 1. Januar 2018 in Kraft. Das Revisionspaket umfasst die Strahlenschutzverordnung und neun weitere Verordnungen. Der folgende Artikel fasst ein Papier des Bundesamts für Gesundheit (BAG) zusammen, in dem die Grundlagen der Revision beschrieben sind.
Ionisierende Strahlung begleitet uns tagein, tagaus. Der Mensch macht sie sich als Helfer in Medizin und Technik zu Nutze, sei es beim Aufspüren und Behandeln von Tumoren, bei den Kontrollen an Flughäfen oder bei den Qualitätskontrollen in der Industrie. Sie umgibt uns beim Fliegen, beim Wandern in den Bergen und tritt in unterschiedlicher Konzentration aus dem Boden aus.
Der Schutz der Bevölkerung vor zu hoher ionisierender Strahlung ist in der Schweizer Strahlenschutzgesetzgebung geregelt. Darin abgedeckt sind Bereiche wie Abfälle, Aufsicht, Ausbildung, Bewilligung, Dosimetrie, Notfälle und Umwelt. Den Strahlenschutz betreffen Medizin, Forschung, Industrie und Kernanlagen. Die Gesetzgebung beruht auf Artikel 118 der Bundesverfassung. Dieser überträgt dem Bund die Kompetenz zum Erlass von Vorschriften über ionisierende Strahlung. Die wichtigsten Erlasse der Strahlenschutzgesetzgebung sind das Strahlenschutzgesetz vom 22. März 1991 (StSG) und die Strahlenschutzverordnung vom 22. Juni 1994 (StSV).
Anpassung an internationale Richtlinien
Die Strahlenschutzgesetzgebung der Schweiz stützt sich auf Empfehlungen internationaler Fachgremien. Sie basiert unter anderem auf den Empfehlungen der International Commission on Radiological Protection (ICRP) von 1990 (ICRP 60). Eine aufgrund von neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen überarbeitete Version (ICPR 103) liegt seit 2007 vor. Die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) gab basierend auf diesen jüngsten Empfehlungen 2014 ihre International Basic Safety Standards (BSS) heraus, die als Vorlage für nationale Gesetzgebungen herangezogen werden können. Für Mitgliedstaaten besteht aber keine Übernahmepflicht. Die Europäische Atomgemeinschaft Euratom erarbeitete ihrerseits basierend auf den ICRP-Empfehlungen und in enger Zusammenarbeit mit der IAEO die Strahlenschutzrichtlinie Euratom BSS4. Diese wurde am 17. Januar 2014 im Amtsblatt der Europäischen Union publiziert. Die EU-Mitgliedstaaten haben bis zum 6. Februar 2018 Zeit, diese Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. Einige Bereiche, wie Dosisgrenzwerte und Befreiungsgrenzen, sind verbindlich und müssen wortgetreu umgesetzt werden. In anderen Bereichen, wie Radon, sind die Freiheiten der Mitgliedstaaten grösser und es dürfen nationale Gegebenheiten berücksichtigt werden.
Neue Philosophie
In den internationalen Richtlinien wurde die bisherige Strahlenschutzphilosophie, die von Tätigkeiten und Interventionen ausging, weiterentwickelt. Sie gehen neu von drei Expositionssituationen aus: geplante Exposition, bestehende Exposition und Notfall-Exposition.
Geplante Expositionssituation
Die meisten Expositionssituationen können der ersten Kategorie – geplante Exposition – zugeordnet werden. Es handelt sich dabei um berufliche Expositionen, wenn am Arbeitsplatz mit radioaktiven Materialien oder mit Anlagen umgegangen wird, die ionisierende Strahlung erzeugen. Dosisgrenzwerte zum Schutz der Personen am Arbeitsplatz bleiben gemäss BAG weitgehend gleich. Aufgrund neuer Erkenntnisse wird jedoch der Grenzwert am Arbeitsplatz für die Augenlinse stark gesenkt. Der beruflichen Expositionen werden neu natürliche Strahlenquellen zugerechnet. Davon betroffen sind Arbeitsplätze mit starker Radonexposition, wie sie in Bergwerken, Höhlen oder Wasserkraftwerken auftreten können. Neu als beruflich strahlenexponiert gilt das Flugpersonal. Die Aufsicht hierfür fällt in den Zuständigkeitsbereich des Bundesamts für Zivilluftfahrt (Bazl).
In die Kategorie der geplanten Expositionssituationen fällt auch die gewollte Exposition von Patientinnen und Patienten in der Medizin. Das Regelwerk schreibt hier keine Dosisgrenzwerte vor, da der individuelle Nutzen üblicherweise das Risiko der Strahlenbelastung überwiegt. In den Vordergrund treten jedoch Rechtfertigung und Optimierung. Um Patientinnen und Patienten besser vor unnötiger Strahlung zu schützen, werden in Spitälern und Röntgeninstituten klinische Audits eingeführt. Damit sollen nicht gerechtfertigte Untersuchungen und Behandlungen vermieden werden.
Um die Exposition der Bevölkerung im Allgemeinen zu begrenzen, müssen beispielsweise Kehrichtverbrennungsanlagen und metallverarbeitende Betriebe ihre Materialflüsse überwachen, sodass kein illegales oder unabsichtlich gehandhabtes radioaktives Material – sogenanntes herrenloses radioaktives Material – in ihren Bearbeitungsprozess gelangen kann. Des Weiteren werden die Grenzen zur Befreiung radioaktiver Stoffe von der Bewilligungspflicht den internationalen Richtlinien angepasst. Die Anpassungen haben einen Einfluss auf die zukünftige Menge des radioaktiven Abfalls.
Bestehende Exposition
In diese Kategorie fallen beispielsweise radioaktive Altlasten oder natürliche Strahlung – Stichwort Radon. Hier werden Referenzwerte, und nicht Dosisgrenzwerte angewendet. Für bestehende Expositionssituationen beträgt der Referenzwert 1 mSv pro Jahr. Der Wert kann im Einzelfall auf 20 mSv pro Jahr erhöht werden. Für Radon gilt neu – statt eines Grenzwertes von 1000 Bq/m3 – ein Referenzwert von 300 Bq/m3 in Wohn- und Aufenthaltsräumen. Die Schweiz setzt damit gemäss BAG aktuelle internationale Empfehlungen um. Der neue Referenzwert zielt vor allem auf Neubauten und Renovationen ab. Eine flächendeckende Einführung wäre unverhältnismässig, so das BAG.
Notfall-Exposition
Notfallsituationen erfordern Sofortmassnahmen. Da Dosisgrenzwerte in Notfällen allenfalls nicht durchgesetzt werden können oder nicht sinnvoll sind, werden auch hier neu Referenzwerte zum Schutz der Bevölkerung und von beruflich exponierten Personen eingeführt. Die Referenzwerte liegen oberhalb der Dosisgrenzwerte. Im ersten Jahr nach einem Notfall gilt ein maximaler Referenzwert von 100 mSv für die Bevölkerung. Er wird situationsspezifisch durch den Bundesrat gesenkt.
Ein umfassendes Revisionspaket
Das Revisionspaket umfasst neben der Strahlenschutzverordnung noch neun weitere Verordnungen. Es sind dies:
- die Verordnung über die Gebühren im Strahlenschutz (GebV-StS),
- die Röntgenverordnung (RöV),
- die Beschleunigerverordnung (BeV),
- die Verordnung über den Strahlenschutz bei nichtmedizinischen Anlagen zur Erzeugung ionisierender Strahlung (SnAV),
- die Verordnung über den Umgang mit geschlossenen radioaktiven Quellen in der Medizin (MeQV),
- die Verordnung über den Umgang mit radioaktivem Material (UraM),
- die Verordnung über die ablieferungspflichtigen radioaktiven Abfälle
- die Strahlenschutz-Ausbildungsverordnung und
- die Dosimetrieverordnung.
Strahlenschutzbehörden in der Schweiz
Für die Aufsicht im Personen- und Umgebungsschutz sind das BAG, das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (Ensi) und die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva) zuständig.
Die Abteilung Strahlenschutz des BAG erteilt Bewilligungen für den Umgang mit ionisierender Strahlung in Medizin, Industrie und Forschung wie beispielsweise bei Röntgenanlagen. Auch medizinische Betriebe und Forschungsinstitute werden vom BAG beaufsichtigt.
Das Ensi ist die Aufsichtsbehörde für Kernanlagen. Es überwacht die Einhaltung der Strahlenschutzvorschriften sowie der Dosislimiten und kontrolliert die Radioaktivitätsabgaben der Kernanlagen.
Die Suva hat die Aufsicht über die industriellen und gewerblichen Betriebe, in denen vor allem die Arbeitnehmer geschützt werden müssen. Sie hat zum Ziel, die Häufigkeit und Schwere der Unfälle und der Berufskrankheiten zu senken.
Quelle
M.B. nach Bundesamt für Gesundheit, «Grundlagenpapier zur Revision der Verordnungen im Strahlenschutz», März 2017, sowie Ensi-Website