Jahresversammlung des Nuklearforums Schweiz: «Grabenkämpfe um Kernenergie sind von vorgestern»

Die diesjährige Jahresversammlung des Nuklearforums Schweiz am 13. Mai 2009 im Schloss Böttstein (Kanton Aargau) stand unter dem Titel «Kernenergie – vom Tabu zum Tischgespräch». Der zurücktretende Präsident Bruno Pellaud, die neu gewählte Präsidentin Corina Eichenberger und Gastgeber Manfred Thumann referierten aus unterschiedlichen Blickwinkeln über die Salonfähigkeit der Kernenergie in der heutigen Gesellschaft.

2. Juni 2009
Die neue Präsidentin des Nuklearforums Schweiz: Nationalrätin Corina Eichenberger und ihr Vorgänger, Bruno Pellaud.
Die neue Präsidentin des Nuklearforums Schweiz: Nationalrätin Corina Eichenberger und ihr Vorgänger, Bruno Pellaud.
Quelle: Nuklearforum Schweiz/Thai Christen

In seiner Abschiedsrede erinnerte der scheidende Präsident Bruno Pellaud daran, dass sich die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung in den insgesamt vier landesweiten Abstimmungen in den vergangenen 30 Jahren durchwegs für die Kernenergieoption ausgesprochen hat. «In der Schweiz war die Kernenergie immer salonfähig», stelle er fest und zitierte Bundesrat Moritz Leuenberger, der letzthin an der Gründungsfeier des Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorats (Ensi) festhielt, dass die Zustimmung der Bevölkerung zunehme, je stärker sie die drohende Stromknappheit wahrnehme.

Pellaud betonte jedoch, dass Versorgungssicherheit und Wirtschaftlichkeit nicht die einzigen Argumente für die Kernenergie seien. Das zeige ein Faktenblatt, in dem die Geschäftsstelle des Nuklearforums alle zugänglichen wissenschaftlichen Daten über die Gesamt-Ökobilanz der Kernenergie zusammengestellt hat – einschliesslich der Umweltbelastungen beim Uranabbau und bei der Entsorgung. Das Fazit ist gemäss Pellaud eindeutig: «Die Kernenergie ist so grün wie Wind- und Sonnenenergie.»

Noch keine Option für Entwicklungsländer

Doch trotz der deutlichen Vorteile für Wirtschaft, Umwelt und Klima wird die Nutzung der Kernenergie nach Pellauds Einschätzung auf absehbare Zeit jenen Regionen vorbehalten bleiben, die über die nötigen institutionellen und industriellen Strukturen verfügen: so Europa und Nordamerika, Russland, Japan, Südkorea, China, Indien, Argentinien und Brasilien. Bremsend wirke sich auch aus, dass bis heute keine glaubwürdigen Angebote für Reaktoren geringer Leistung auf dem Markt seien, die den relativ kleinen Stromnetzen in Entwicklungsländern angepasst sind.

Zuverlässige Bandenergie für die Stromzukunft

Mit Blick auf Europa und die Schweiz stellte Pellaud fest: «Die Energieeffizienz wird steigen, aber die Nachfrage nach Strom wird noch stärker zunehmen – aus einfachen Gründen: Mit Wärmepumpen wird Heizöl durch Strom ersetzt; mit Elektro-Hybrid-Autos wird Benzin durch Strom ersetzt; mit modernen öffentlichen Verkehrsmitteln wird Diesel durch Strom ersetzt; Energieeffizienz wird mit Strom erreicht. Alle diese Bereiche brauchen Tag und Nacht zuverlässige Bandenergie. Das kann die Kernenergie liefern; das können die neuen erneuerbaren Energien Wind und Sonne nicht.»

Zu den von der Stromwirtschaft im vergangenen Jahr eingereichten drei Kernkraftwerkprojekten an den Standorten Beznau, Mühleberg und Niederamt sagte Pellaud, dass sich aus heutiger Sicht die Notwendigkeit zweier neuer Werke überzeugend darstellen lasse. «Deshalb wäre es politisch angemessen, von zwei neuen Werken zu sprechen. Ich möchte an dieser Stelle die Projektanten nachdrücklich ermutigen, sich derzeit auf zwei Projekte zu beschränken und deren Reihenfolge sinnvoll festzulegen.»

Handlungsbedarf beim Bund

Angesichts der drei im vergangenen Jahr eingereichten Kernkraftwerkprojekte Beznau, Mühleberg und Niederamt sieht Pellaud Handlungsbedarf beim Bund. Zwar sei die neu formierte Aufsichtsbehörde Ensi für die kommende Herausforderung gut gerüstet. Engpässe seien jedoch beim Bundesamt für Energie (BFE) absehbar. «Obwohl in der Schweiz 40% des Stroms nuklear erzeugt werden, erscheint das Wort 'nuklear' nirgendwo im Organigramm des Amtes», bemängelte er.

Der fehlende Ersatz von Mitarbeitern in den letzten zehn Jahren und die aus finanziellen Gründen erzwungene Personalknappheit hätten zu einer Art nuklearer Wüste beim BFE geführt, die am Ende der Rahmenbewilligungs-Phase zu Engpässen führen könnte. «Ich plädiere hier für eine Aufstockung des Personals des Amtes und die Schaffung einer Abteilung ‹Kraftwerksprojekte›, die grosse Kernkraft- und Gaskraftwerke professionell und zügig begleitet», sagte Pellaud. Das BFE müsse verstärkt werden. Letztlich gehe es um die Umsetzung des Willens des Gesamtbundesrats in Sachen Kernenergie. «Und zwar mit Taten, nicht nur mit Worten», wie Pellaud betonte.

Corina Eichenberger: Scheuklappen ablegen

In ihrer Antrittsrede in Böttstein forderte die neue Nuklearforumspräsidentin Corina Eichenberger die Entkrampfung der Debatte um die Kernenergie. «Strom ist ein wertvolles Produkt. Wir müssen haushälterisch mit ihm umgehen, aber auch den Bedarf unseres Landes zuverlässig, umweltschonend und kostengünstig decken», sagte sie. Das gehe nur, wenn die Schweiz ohne ideologische Scheuklappen auf den CO2-armen Mix aus Wasserkraft und Kernenergie setze, ergänzt um die neuen erneuerbaren Energien. «Wer die Zukunft meistern will, schreitet vom Entweder-oder zum Sowohl-als-auch. Grabenkämpfe um die Kernenergie sind von vorgestern.»

Stimmberechtigte in der Verantwortung

Nötig sei eine sachliche Debatte sowohl über Energieeffizienz und die erneuerbaren Energien wie auch über die Kernenergie mit ihren klaren Vorteilen bei Ökobilanz, Strompreis und Versorgungssicherheit. «Nichts hindert uns, mit Mann und Frau, mit Alt und Jung über die künftige Stromversorgung zu sprechen», sagte Eichenberger. «Die Stromversorgung betrifft uns alle unmittelbar, hier gibt es keine Laien. Wir sind alle Stromkonsumentinnen und Stromkonsumenten, im Beruf, zu Hause, in der Freizeit. Im Sorgenbarometer der Bevölkerung rangiert die Stromversorgung zwar gegenwärtig weit unten – offenbar kommt bei vielen Menschen der Strom noch immer aus der Steckdose, und nicht aus dem Kraftwerk, und schon gar nicht aus dem Kernkraftwerk.»

Hier sei der Ansatzpunkt für die Kommunikation: Die Stimmberechtigten müssten erkennen, dass die Stromzukunft der Schweiz nicht mehr gesichert ist, dass sie in den kommenden Jahren Entscheide fällen müssen, deren Folgen sie direkt betreffen und dass jede und jeder Verantwortung trägt, an der Urne und als Stromkonsument: «Heute darf es sich niemand mehr leisten, keine Meinung zum Thema Stromversorgung zu haben. Und dazu gehört in der Schweiz auch die Kernenergie.»

Über Kernenergie reden

Eichenberger ist überzeugt, dass die Berührungsängste vieler Menschen zur Kernenergie überwunden werden können: «Ein grosser Teil der Bevölkerung – auch die Frauen – wird ihren persönlichen Entscheid zur künftigen Stromversorgung mit Vernunft und Sachlichkeit fällen.» Sachlichkeit sei und bleibe auch die Devise des Nuklearforums, hielt die neue Präsidentin fest. «Ich vertraue auf die Unterstützung der Mitglieder, damit das Nuklearforum seine Aufgabe als wissenschaftlich abgestützte Informationsplattform weiterhin erfüllen kann.» Im Dschungel der Argumente für und wider die Kernenergie biete das Nuklearforum sachlich fundierte Orientierungshilfe, auch und gerade für Laien.

«Wir müssen den Mut haben, im Gespräch unter Freunden wie in der Öffentlichkeit, die Kernenergie und ihre Stärken anzusprechen», mahnte Eichenberger. Die Belege der Wissenschaft über die gute Ökobilanz seien ein wichtiger Schlüssel zur Erhöhung der Akzeptanz. «Umfragen zeigen aber immer wieder, dass viele Bürgerinnen und Bürger nicht wissen, wie umwelt- und ressourcenschonend die Kernenergie in Tat und Wahrheit ist. Das muss das Nuklearforum in Zukunft stärker unterstreichen.» In den kommenden Jahren gehe es darum, die Kernenergiediskussion selbstbewusst, gelassen und ohne Scheuklappen zu führen.

Emotionale Seite nicht vergessen

Eichenberger forderte die in Böttstein anwesenden Fachleute der Nuklearbranche auf, ihre Botschaften vermehrt auf die Ebene des Individuums hinunterzubrechen: «Verzichten Sie auf den technischen Diskurs über die Feinheiten der Kerntechnik, so interessant diese auch sind. Sprechen Sie vielmehr über den Strom, den Sie tagtäglich produzieren. Sagen Sie, warum Sie Ihre Arbeit gerne machen. Sprechen Sie auch über Versorgungssicherheit und über die drohende Produktionslücke.» Ob gute oder schlechte Nachrichten zu überbringen sind: «Zeigen Sie ein Stück des Menschen in Ihnen. Emotionen verstehen alle, und ganz besonders die Frauen.»

Manfred Thumann: Nachhaltigkeit als Unternehmensziel

Manfred Thumann, CEO der Nordostschwereischen Kraftwerke AG (NOK) und Gastgeber im Schloss Böttstein, erläuterte die Anforderungen an eine nachhaltige Stromproduktion aus Kernenergie. Ausgehend von den drei Aspekten nachhaltiger Unternehmensführung – wirtschaftliche, ökologische und soziale Nachhaltigkeit – umriss er die Strategie der NOK zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit. Grundlagen zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele sind:

  • die wissenschaftliche Bewertung der Umweltauswirkungen der Produktion und Prozesse über den ganzen Lebenszyklus
  • die internationale Zertifizierung der Ökobilanzen nach ISO 14’025 und der Treibhausgase nach ISO 14’064 sowie dem Uno-Netzwerk Global Compact
  • die wirtschaftliche Optimierung der Umweltauswirkungen der Produktion und Prozesse

Gesamtbilanz ist der Massstab

«Wir versuchen, als Unternehmen auf die Life-Cycle-Responsibility zuzusteuern», sagte Thumann. Dies bedeute, bei der Bewertung des eigenen Tuns immer die Gesamtbetrachtung aller wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Aspekte der Nachhaltigkeit vorzunehmen. So haben die NOK kürzlich eine umfassende Umwelt- und Klimadeklaration für das Kernkraftwerk Beznau erstellt, die von einer internationalen, unabhängigen Stelle zertifiziert worden ist. Dabei bestätigte sich einmal mehr, dass wegen der enormen Energiedichte im Uran der Strom aus Kernenergie – zusammen mit der Wasserkraft – in der Schweiz klar die beste Gesamtökobilanz hat, besser als Strom aus Biomasse, Wind oder Sonne.

Der heutige klimafreundliche Strommix der Schweiz ist bereits optimal. «Wir können beim Strom kein CO2 reduzieren», hielt Thumann fest. «Selbst wenn wir in der Beznau ausschliesslich frisches Natururan einsetzen statt Uran aus abgerüsteten Kernwaffenbeständen, steigen die CO2-Äquivalente pro Kilowattstunde nur um ein Gramm auf vier Gramm pro Kilowattstunde.»

Rohstoffbedarf nicht vergessen

Das ist aber nicht der einzige Vorteil der Kernenergie. Die hohe Energiedichte des Kernbrennstoffs bedeute auch, dass Kernkraftwerke die Ressourcen der Erde schonen, insbesondere beim Bedarf an Metallen wie Kupfer, Eisen oder Nickel – ein Aspekt, der in der öffentlichen Diskussion oft übersehen werde, wie Thumann betonte. Umgekehrt erfordere die dezentrale Stromerzeugung mit geringer Leistungsdichte in Wind- und Solaranlagen einen markant höheren Rohstoffeinsatz als Kernenergie und Wasserkraft.

Wertschöpfung versus Ablehnungshaltung

Die Kernenergie steht auch bei der Betrachtung der wirtschaftlichen und sozialen Aspekte der Nachhaltigkeit in der Spitzengruppe, legte Thumann dar. Für das Kernkraftwerk Beznau bezifferte er den Bruttoproduktionswert – Summe des Wertes aller produzierten Dienstleistungen – auf heute CHF 392 Mio. pro Jahr. Beim Betrieb des geplanten Ersatzkraftwerks in der Beznau würde dieser Wert auf über CHF 800 Mio. pro Jahr steigen, und während der Bauphase läge die Wertschöpfung nochmals deutlich höher.

Thumann mahnt aber auch, die Aversion vieler Menschen gegen die Kernenergie nicht aus den Augen zu verlieren: «Diese psychischen Belastungen der Gesellschaft gibt es und müssen von uns als real existierende Probleme behandelt werden.» Immerhin: Die Trends in der jährlich durchgeführten repräsentativen Umfrage von swissnuclear zeigten, dass die Bevölkerung zunehmend die Vorteile der Kernenergie wahrnehme. «Die Zukunft gehört dem Energiemix mit Kernenergie», lautete das Schlusswort Thumanns.

Die Band des Kernkraftwerks Beznau sorgte für die musikalische Begleitung des Tages.
Die Band des Kernkraftwerks Beznau sorgte für die musikalische Begleitung des Tages.
Quelle: Nuklearforum Schweiz/Thai Christen

Quelle

M.S.

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