Frischer Wind in der Kernenergie – das PSI ist dabei

Nachdruck eines Artikels von Prof. Wolfgang Kröger im Spectrum 2/2002. Prof. Kröger ist Leiter des Forschungsbereichs Nukleare Energie und Sicherheit, Paul Scherrer Institut (PSI), Vorsteher des Labors für Sicherheitsanalytik, ETH Zürich, sowie Mitglied des Vorstandes der SVA.

14. Aug. 2002

Vor kurzem wurde die Schweiz auf Einladung der USA als 10. Vollmitglied in das "Generation IV International Forum" (GIF) aufgenommen. GIF ist das Hauptelement einer Initiative des US Department of Energy mit dem Ziel, in 20 bis 30 Jahren mindestens eine neue Generation von Kernkraftwerken bis zur Marktreife zu entwickeln, die den besten heutigen Anlagen technisch und ökonomisch überlegen ist.

Ein internationaler Aufbruch mit ehrgeizigen Zielen
GIF will die dafür nötige multilaterale Zusammenarbeit erleichtern. Eine formale Charta wurde Mitte 2001 von Argentinien, Brasilien, Frankreich, Grossbritannien, Japan, Kanada, Südafrika, Südkorea und den USA unterzeichnet. Beobachter von Euratom, IAEO und OECD/NEA stellen sicher, dass auch Meinungen von Nicht-Mitgliedländern zur Sprache kommen. Jeder Mitgliedstaat nimmt Einsitz in der Policy Group und Experts Group als Steuerungsgremien und entsendet Experten in die technischen Arbeitsgruppen.
Die Teilnahme der Schweiz ist das Resultat reiflicher Überlegungen: Sie ist auch politisch an den Zielen des GIF interessiert und wird sich über Beiträge aus der laufenden, aktiv zu haltenden Forschung des PSI (Main Scientific Partner) beteiligen. Dafür erhält die Schweiz alle Informationen, die im Rahmen dieser Kollaboration entstehen, was zu einer kosteneffizienten Kompetenzsicherung und Nachwuchsförderung im Lande beiträgt. Wir versprechen uns von der Beteiligung zusätzlichen Input für die eigene Forschung und interessante Kooperationen.
Während der GIF-Arbeiten verschob sich das Augenmerk von reinen Reaktorkonzepten hin zu gesamten Systemen. Dabei rückte die Nachhaltigkeit des nuklearen Brennstoffzyklus in den Vordergrund.
Abfallerzeugung (Menge, Radiotoxizität), Ressourcennutzung und Proliferationsresistenz wurden als Schlüsselkriterien eingeführt. Neben ökonomischen Zielgrössen (Anlagenkosten unter USD 1000 pro installiertem kWe und Stromkosten unter 3 Cent pro kWh) dominieren verschärfte Sicherheitsanforderungen; so soll die Notwendigkeit für eine Notfallplanung jenseits des Anlagenzauns (für "glaubhafte Unfallszenarien") zukünftig nicht mehr bestehen.

Ein "Schönheitswettbewerb" der Konzepte
Im letzten Jahr schon wurden aus etwa 130 eingereichten Vorschlägen in einer ersten Runde 18 Konzepte herausgefiltert und einem strengen "Final Screening" unterzogen. Eine spezielle Arbeitsgruppe erstellte dazu eine Liste von Beurteilungskriterien in den Kategorien Nachhaltigkeit (des Brennstoffzyklus), Sicherheit und Zuverlässigkeit sowie Wirtschaftlichkeit. Je eine Arbeitsgruppe für Reaktoren mit Wasser-, Gas- und Flüssigmetallkühlung sowie für "nicht-klassische Konzepte" nahm die Bewertung vor. Das "Roadmap Integration Team" sorgte schliesslich dafür, dass alle Gruppen gleich bewertet wurden.
Heute kennt man die sechs bis acht besten Konzepte, wobei eine für alle Länder einheitliche Gewichtung vorgenommen wurde, die jedoch stark der amerikanischen Sichtweise Rechnung trägt. Die anstehenden Entscheide sind für die Ausrichtung der zukünftigen F &E-Projekte von grosser Bedeutung und dementsprechend "heiss umkämpft".
Bisher machen (Schnelle) Reaktoren mit Gas oder Flüssigmetall als Kühlmittel und attraktiven Brennstoffzyklen die ersten Plätze unter sich aus. Aber auch "Exoten" sind zu finden, beispielsweise Reaktoren mit Salzschmelze als Kühlmittel oder solche mit gasförmigen Kernen. Von den Konzepten mit Wasserkühlung schneidet der "superkritische" Reaktor am besten ab, der dank hohem Druck und angehobener Kühlmitteltemperatur höhere Wirkungsgrade verspricht. Weitere wassergekühlte Reaktoren werden wohl nur auf "besonderen Wunsch" oder als Vorläufertechnologie in die Liste langfristig attraktiver, weiter zu entwickelnder Systeme kommen. Parallel liefen intensive Arbeiten der "Fuel Cycle Cross Cut Group".
Die Hauptergebnisse sind interessant, weil sie einen Paradigmawechsel für die USA bedeuten: Bisher bevorzugte Zyklen ohne Rezyklierung (d.h. direkte Endlagerung ohne Wiederaufarbeitung) werden praktisch verworfen. Stattdessen wird das Schliessen der Brennstoffkreisläufe (möglichst Mehrfachrezyklierung mit Wiederaufbereitung und gezielter Stoffabtrennung) u.a. aus folgenden Gründen beliebt gemacht:

  • Längerfristige Reduktion der Abfälle hinsichtlich Menge und Radiotoxizität
  • Optimierung der Abfallformen
  • Optimale Nutzung der Endlagerkapazität
  • Erhebliche Streckung der Brennstoffvorräte


Eine Chance für die PSI-Forschung
Der spannende Auswahlprozess wird bald abgeschlossen. Zurzeit bezeichnen die Arbeitsgruppen notwendige F &E-Aktivitäten für die ausgewählten Konzepte, und bis Ende September 2002 sollen die Roadmaps entstehen. Die Partnerländer werden dann einzelne Teile dieser Forschungsprogramme allein oder in Kooperationen abdecken. Das PSI möchte seine Forschungsanlagen einbringen und gegebenenfalls durch Forschungsaktivitäten zur Reaktorphysik (PROTEUS), zur Thermohydraulik (PANDA/LINX) sowie zum Werkstoff- und Brennstoffverhalten (Hotlabor) beitragen und auch MEGAPIE nutzen. Und vielleicht schafft GIF auch den Nährboden für eine völlig neue Forschungsaktivität!

Quelle

Prof. Wolfgang Kröger

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