Bundesrat befürwortet neue Kernkraftwerke

Angesichts der ab 2020 drohenden Stromversorgungslücke ist der Ersatz der bestehenden bzw. der Bau neuer Kernkraftwerke notwendig. Dies hat der Bundesrat am 21. Februar 2007 im Rahmen seiner «Neuausrichtung» der Schweizer Energiepolitik erklärt.

23. Feb. 2007

Mit der Verabschiedung der Grundsätze für eine «neue Energiepolitik» ist die Kernenergie für den Bundesrat keine blosse Option mehr. Vielmehr ist die Landesregierung «von der Notwendigkeit neuer Kernkraftwerke überzeugt», wie Bundesrat Moritz Leuenberger gleichentags an einer Medienkonferenz in Bern bestätigte. Mit Blick auf allfällige Gesuche der Stromwirtschaft für neue Kernkraftwerke will der Bundesrat deshalb prüfen, ob die Genehmigungsverfahren im Rahmen der bestehenden gesetzlichen Grundlagen verkürzt werden können. Leuenberger bezifferte den Zeitbedarf vom Einreichen eines Rahmenbewilligungsgesuchs bis zur Inbetriebnahme eines neuen Kernkraftwerks auf 18 Jahre, «ohne grosse Hoffnungen, dass eine wesentliche Beschleunigung möglich ist». Die Inbetriebnahme eines neuen Kernkraftwerks bis 2020 erachtet der Energieminister als «ausgeschlossen».

Demgegenüber ist Bruno Pellaud, Präsident des Nuklearforums Schweiz, in einer detaillierten Schätzung zum Schluss gekommen, dass in der Schweiz auf der Grundlage des geltenden Kernenergiegesetzes innerhalb von knapp zwölf Jahren ein neues Kernkraftwerk gebaut werden könnte − einschliesslich einer allfälligen eidgenössischen Volksabstimmung. Der erforderliche Zeitraum werde entscheidend von der zügigen Arbeit der politischen und administrativen Behörden bestimmt.

Vorschläge für Aktionspläne bis Ende 2007

Die Neuausrichtung der Energiepolitik des Bundesrats stützt sich im Wesentlichen auf die drei Säulen Energieeffizienz, erneuerbare Energien und Grosskraftwerke. Leuenberger kündigte an, dass das Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) bis Ende 2007 Aktionspläne mit den Massnahmen erarbeiten werde, die nötig seien, um die Energieeffizienz zu steigern und die erneuerbaren Energien zu fördern.

Die bundesrätlichen Grundsätze für die Energiepolitik umfassen alle Energieanwendungen vom Wärmemarkt über die Treibstoffe bis zum Strommarkt. Im Vorfeld seines Entscheids hatte der Bundesrat die «Energieperspektiven 2035/2050» erarbeiten lassen, die auf einer soliden wissenschaftlichen Grundlage die möglichen energiepolitischen Optionen der Schweiz aufzeigen.

«Rest-Lücke» ab 2020

Beim Strom, der rund ein Viertel des gesamten Schweizer Energiekonsums ausmacht, «droht wegen des Auslaufens der langfristigen Importverträge und der begrenzten Lebensdauer der Kernkraftwerke eine Versorgungslücke», anerkennt der Bundesrat. Trotz des angestrebten «massvollen» Ausbaus der Wasserkraft und der Förderung der neuen erneuerbaren Energien bleibe ab 2020 eine «Rest-Lücke» in der Stromversorgung.

Importlösungen sind nach Ansicht Leuenbergers keine Option, da die Nachbarländer vor denselben Versorgungsproblemen stehen wie die Schweiz. Die Solarstromproduktion bezeichnete er als «nicht konkurrenzfähig» und die Stromproduktion aus tiefer Geothermie als «nicht ausgereift». Hingegen werde er abklären lassen, ob der Import von Windstrom über grosse Distanzen aus dem Ausland möglich und sinnvoll sei.

Gaskombikraftwerke als Übergangslösung

Nach Auffassung des Bundesrats sollen in den kommenden Jahren Gaskombikraftwerke (GuD) «als Übergangslösung» gebaut werden. Zur CO2-Frage hat die Landesregierung mit Blick auf die laufenden Beratungen im Parlament ihre Position festgelegt: Demnach sollen die GuD der CO2-Abgabe unterstehen. Sie können sich jedoch in Zielvereinbarungen mit dem Bund von dieser Abgabe befreien, wenn sie 100% ihrer Emissionen kompensieren. Dabei werden Auslandzertifikate soweit angerechnet, «dass die Wettbewerbsfähigkeit der inländischen Stromproduktion mit GuD gegenüber dem Ausland nicht eingeschränkt wird», schreibt das Uvek. Laut Leuenberger heisst das, dass ein «überwiegender Teil» der Zertifikate im Ausland gekauft werden kann. Andernfalls würden die GuD jenseits der Schweizer Grenze gebaut, wo sie als treibhausgasärmerer Ersatz von Kohlekraftwerken zum Teil sogar gefördert werden.

Die Stellungnahmen der Parteien

In ersten Stellungnahmen begrüssten die FDP und die SVP die energiepolitische Stossrichtung des Bundesrats. Während die SVP die GuD als «kurzfristige Lückenschliessung» akzeptiert und - wie die FDP - den raschen Bau von neuen Kernkraftwerken fordert, bekräftigte die FDP, dass sie Gross-Gaskraftwerke bekämpfen werde. Die CVP ihrerseits will lediglich die bestehenden durch «neue bzw. erneuerte» Kernkraftwerke ersetzen. Die SP lehnt den Bau neuer Kernkraftwerke «grundsätzlich» ab, ebenso wie die Grüne Partei, die zudem die Kompensation der GuD-Emissionen im Ausland als «grotesk» bezeichnet.

Kritik erntet der Bundesrat auch vom Wirtschaftsdachverband economiesuisse. Die Landesregierung verkenne die Dimension und die Risiken der kommenden Stromlücke, wenn sie nur von einer «Rest-Lücke» spreche. Immerhin seien der Ersatz bzw. der Neubau von zwei bis drei Kernkraftwerken nötig. Bereits Anfang Februar 2007 hatte der Schweizerische Gewerbeverband die Kernenergie als ein «absolutes Muss» für die Zukunft bezeichnet.

Quelle

M.S. nach Bundesrat, Medienkonferenz, sowie Parteien und economiesuisse, Medienmitteilungen, 21. und 24. Februar 2007, und Schweizerischer Gewerbeverband, Medienmitteilung, 9. Februar 2007

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