Britische Regierung lädt zu Investitionen in neue Kernkraftwerke ein

Für die britische Regierung gehören Kernkraftwerke zum strategischen Energiemix. Als diversifizierte, kohlenstoffarme Energiequelle sollen sie zur sicheren und wirtschaftlichen Versorgung Grossbritanniens beitragen. Daher hat die Regierung am 10. Januar 2008 dem Unterhaus ein neues Energiegesetz vorgelegt, das die rechtlichen Voraussetzungen für Investitionen unter anderem in neue Kernkraftwerke schaffen wird. Bereits haben britische, deutsche und französische Energieunternehmen ihr Interesse angemeldet, neue Kernkraftwerke zu bauen. Das erste könnte schon 2018 den kommerziellen Betrieb aufnehmen.

22. Jan. 2008
John Hutton, Energy Secretary: «Es liegt im zwingenden langfristigen Interesse unseres Landes, heute vorwärtszumachen, soll die Kernenergie bei der Versorgung Grossbritanniens mit sauberer, sicherer und erschwinglicher Energie eine Rolle spielen.»
John Hutton, Energy Secretary: «Es liegt im zwingenden langfristigen Interesse unseres Landes, heute vorwärtszumachen, soll die Kernenergie bei der Versorgung Grossbritanniens mit sauberer, sicherer und erschwinglicher Energie eine Rolle spielen.»
Quelle: BERR

Im Mai letzten Jahres leitete die Labourregierung - damals noch unter Tony Blair - eine öffentliche Vernehmlassung über eine neue Energiestrategie ein, die der doppelten Herausforderung begegnen sollte, den Klimawandel zu bekämpfen und eine erschwingliche Energieversorgung sicherzustellen. Eine der politischen Schlüsselfragen war, ob Grossbritannien weiterhin auf Kernenergie setzen sollte. Für die Regierung - jetzt unter Gordon Brown - ist das Ergebnis klar und in das neue Weissbuch über Kernenergie eingeflossen, das sie am 10. Januar 2008 zusammen mit einem neuen Energiegesetz dem Unterhaus vorgelegt hat. Dieses hat das neue Energiegesetz nach der zweiten Lesung am 22. Januar an seine zuständige Kommission überwiesen, die bis zum 11. März Zeit hat, darüber zu beraten. Wenn das Unterhaus nach einer dritten Lesung zustimmt, geht die Vorlage an das Oberhaus.

Mit der positiven Haltung gegenüber dem Bau neuer Kernkraftwerke weiss die britische Regierung eine Mehrheit der Bevölkerung hinter sich. Dies bestätigen nicht nur Meinungsumfragen, sondern auch die Reaktionen im Rahmen der Vernehmlassung. Unterstützung bietet grundsätzlich auch die oppositionelle Konservative Partei, wie die Debatte am 22. Januar zeigte. Einigen Widerstand hat die Regierung aus den eigenen Reihen und seitens schottischer Abgeordneter zu erwarten. Auch hat die Greenpeace angekündigt, sie werde alle rechtlichen Mittel ausschöpfen.

30 GW in 20 Jahren

Bei der Vorstellung des Weissbuchs über Kernenergie und des neuen Energiegesetzes mahnte Staatssekretär John Hutton, Vorsteher des für Energiefragen zuständigen Department for Business, Enterprise and Regulatory Reform (BERR), die Zeit zum Handeln sei jetzt gekommen. Grossbritannien werde in den kommenden 20 Jahren einen Drittel des bestehenden Kraftwerkparks ersetzen müssen: rund 12 GW fossile Kraftwerke vorwiegend aus Umweltschutzgründen und rund 10 GW Kernkraftwerke, die ans Ende ihrer Lebensdauer gelangten. Ab 2023 würde das Land nur noch über ein Kernkraftwerk verfügen (Sizewell-B, 1188 MW, PWR). Um die Versorgung zu sichern, müssten die Stromversorger in diesem Zeitraum 30-35 GW neue Kraftwerkskapazität schaffen. Dass ein Teil davon Kernkraftwerke seien, liege im langfristigen Interesse des Landes. Der Rückgriff auf die Kernenergie sei «zwingend».

Mit dem neuen Energiegesetz will die Regierung auf der einen Seite die Entwicklung erneuerbarer Energiequellen fördern, aber auch Investitionen in die Kohlenstoffrückhaltung bei fossilen Kraftwerken ermöglichen. Auf der anderen Seite ist sie davon überzeugt, dass Kernkraftwerke als kohlenstoffarme Energiequelle im Energiemix weiterhin eine Rolle zu spielen haben, denn sie gehörten zu den wirtschaftlichsten kohlenstoffarmen Stromquellen. Zuverlässig decke Kernenergie schon seit Jahrzehnten rund einen Fünftel des Strombedarfs, sie sei sicher und leistete einen wichtigen Beitrag zur Diversifizierung der Versorgung.

Weg zu Investitionen in Kernkraftwerke ebnen

Hutton sicherte zu, die Regierung werde sich dafür einsetzen, privaten Energieunternehmen den Weg zu Investitionen in neue Kernkraftwerke zu ebnen. Sie werde das Bewilligungsverfahren straffen und an der Kohlenstoffabgabe für fossilthermische Kraftwerke festhalten. Doch wolle sie sich weder auf eine Anzahl Projekte, noch den künftigen Anteil der Kernenergie am Strommix festlegen. Dies werde der Markt entscheiden. Das neue Gesetz schaffe lediglich günstige Rahmenbedingungen. Gleichzeitig stelle es die Finanzierung der Stilllegung der neuen Kernkraftwerke sowie der Abfallentsorgung durch die Betreiber sicher.

Straffer Zeitplan bis zur ersten Inbetriebnahme

Das neue Weissbuch über Kernenergie skizziert den Zeitplan vom Erlass des neuen Energiegesetzes anfangs 2008 bis zur Inbetriebnahme des ersten neuen Kernkraftwerks in zehn Jahren.

Im Februar/März 2008 wird die Regierung das Regelwerk zur Finanzierung der Stilllegung und Entsorgung schaffen und eine neue unabhängige Körperschaft - das Nuclear Liabilities Financing Assurance Board - schaffen. Dieses wird sich nur mit den Neuanlagen befassen. Die 20 bestehenden, der Nuclear Decommissioning Authority unterstehenden Kernanlagen werden davon nicht berührt.

Parallel dazu wird die Regierung die Kernenergieaufsichtsbehörde - das Nuclear Directorate (ND) beim Health and Safety Executive - verstärken, damit es rascher und effizienter arbeiten kann. Zusammen mit der Environment Agency befasst sich das ND bereits mit der Vorlizenzierung von vier verschiedenen Reaktorsystemen für neue Kernkraftwerke. Das eigentliche Lizenzierungsverfahren - das Generic Design Assessment (GDA) - beginnt im Frühjahr 2008 und wird rund drei Jahre dauern.

Schliesslich will die Regierung im März/April 2008 eine Vernehmlassung zur Standortwahl einleiten. Sie geht davon aus, dass die interessierten Investoren vor allem Standorte bei bestehenden Kernanlagen vorschlagen werden. Die Standortwahl sollte im Herbst 2009 zum Abschluss kommen. Bis dahin sollten auch alle anderen Elemente vorliegen, um den politischen sowie den wirtschaftlichen Grundsatzentscheid über den Bau neuer Kernkraftwerke anhand konkreter Projekte zu fällen.

Fallen sie beide positiv aus, kann nach Abschluss des GDA Mitte 2011 das eigentliche Bewilligungsverfahren beginnen. Dank den Vorabklärungen und dem gestrafften Verfahren wird es viel weniger Zeit in Anspruch nehmen als die äusserst langwierigen Bewilligungsprozeduren in der Vergangenheit. Der Bau des ersten neuen Kernkraftwerks könnte somit laut dem Weissbuch im Frühjahr 2013 beginnen und 2018 zum Abschluss kommen.

Internationaler Rückhalt

In ersten Reaktionen haben Industriekreise - darunter die französische Areva-Gruppe - den klaren Entscheid der britischen Regierung begrüsst. Der Zeitplan sei realistisch und die kommerzielle Inbetriebnahme eines erstes neuen Kernkraftwerks ab 2018 machbar. Weitere könnten rasch folgen.

Die British Energy als Betreiberin der bestehenden Kernkraftwerke will im März 2008 Vorschläge für eine bis zwei Einheiten vorlegen. In ihrer Stellungnahme unterstreicht sie, über Landreserven an acht ihrer Standorte zu verfügen, die das Energieweissbuch von 2007 als besonders geeignet nenne. Unter den möglichen internationalen Investoren haben bereits die französische Electricité de France sowie die deutschen E.On und RWE npower ihr Interesse bestätigt. Sie können indessen noch nicht sagen, ob sie eigene Projekte einreichen oder sich an Partnerschaften beteiligen werden.

Quelle

P.B. nach BERR, Medienmitteilung, 10. Januar, NucNet, 11. Januar, und The Hansard, 22. Januar 2008

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