Gerechte Energiewende in Afrika

Viele Länder planen ihre Emissionspfade in Richtung Netto-Null abzusenken. Auch Südafrika möchte Kohlekraftwerke stilllegen. Der aus Südafrika stammende Nuklearingenieur Naptali Mokgalapa gibt einen Einblick, wie eine sozial verträgliche und gerechte Energiewende in Afrika aussehen könnte und wo er die Rolle der Kernenergie sieht.

20. Okt. 2022
Stromleitungen im Dorf Memelodi
Die Energiewende in Südafrika muss gerecht ablaufen und auch die Auswirkungen auf die südafrikanische Wirtschaft, den sozialen Zusammenhalt und die Netzstabilität berücksichtigen. Im Bild Stromleitungen im Dorf Memelodi in der Nähe von Pretoria.
Quelle: Brandon Bean / Unsplash

Auf der 26. Uno-Klimakonferenz in Glasgow (COP26) Ende 2021 sagte der Präsident der USA, Joe Biden, in seiner Rede: «Ich bin in einer Gegend im Nordosten Pennsylvanias aufgewachsen, die ein wichtiger Kohlelieferant war. Ich habe miterlebt, was passierte, als diese Industrie zusammenbrach und welche Auswirkungen dies auf die Gemeinschaft hatte. Um eine Wiederholung zu vermeiden, halte ich es für wichtig, sich um die betroffenen Menschen zu kümmern und ihnen Alternativen zu bieten.»

Der Integrated Resource Plan (IRP2019) der Regierung Südafrikas sieht die Stilllegung von Kohlekraftwerken mit einer Leistung von mehr als 11’000 MW bis 2030 und von etwa 24’100 MW bis 2050 vor. Bei der Stilllegung dieser hohen Grundlastkapazität sollte Südafrika Bidens Warnung vor einer drohenden sozioökonomischen Katastrophe beherzigen, um sicherzustellen, dass die Energiewende von fossilen Brennstoffen hin zu sauberen Energien gerecht abläuft. Es ist unerlässlich, dass der Integrated Resource Plan auch weiterhin den relevanten Entwicklungen auf der Welt Rechnung trägt. Daher der Vorschlag, den Plan in regelmässigen Abständen zu überprüfen und ihn mit aktualisierten Daten auf dem neuesten Stand zu halten.

In Südafrika ist Kohle nicht nur vorherrschend, sondern auch die Grundlage für den Zugang zu Energie, da sie Haushalte, Unternehmen, Produktionsanlagen, Bergbau, Transport, Kommunikationssysteme und Dienstleistungen in der gesamten Wirtschaft mit erschwinglichem Strom versorgt. Daher muss deren Ersatz nicht nur geeignet sein, sondern auch alle Faktoren berücksichtigen und nicht nur isoliert den Klimawandel betrachten. Ein radikaler, unüberlegter Umstieg, bei dem die Eignung der vorgeschlagenen Energiequelle nicht berücksichtigt wird, insbesondere wenn es darum geht, die Industrialisierung voranzutreiben und die Energieversorgungssicherheit im Interesse der Bevölkerung zu gewährleisten, würde zu wirtschaftlicher, sozialer und schliesslich politischer Instabilität führen – ein totales Chaos.

Die Kernenergie ist das Bindeglied, das sicherstellen kann, dass eine gerechte Energiewende die Souveränität des Staates, den Umweltschutz und die Lebensgrundlagen garantiert.

Kernkraftwerk Koeberg
Auf dem ganzen afrikanischen Kontinent gibt es derzeit nur ein einziges Kernkraftwerk, das zur kommerziellen Stromerzeugung in Betrieb ist. Es ist das südafrikanische Kernkraftwerk Koeberg mit seinen zwei 900-MW-Druckwasserreaktoren, das 30 Kilometer nördlich von Kapstadt liegt und dem staatlichen Energieversorger Eskom gehört. Zukünftig kommt ein weiteres Kernkraftwerk im ägyptischen El Dabaa dazu: Im Juni 2022 wurde der Bau der ersten von vier Kernkraftwerkseinheiten gestartet.
Quelle: Eskom

Souveränität des Staates
Der Energieverfügbarkeitsfaktor der Kohlekraftwerke des südafrikanischen Stromversorgungsunternehmen Eskom ist bereits rückläufig (siehe jährliche Statistik zur Stromerzeugung in Südafrika für 2021 – Rat für wissenschaftliche und industrielle Forschung, CSIR). Es wird erwartet, dass Südafrika ab Mitte der 2020er-Jahre zahlreiche Kohlekraftwerke ausser Betrieb nehmen wird. Das Land kann es sich jedoch nicht leisten, Grundlastkapazitäten vorzeitig stillzulegen, ohne Pläne für den Ersatz durch andere Grundlastkapazitäten zu erstellen.

Das südafrikanische Netz und seine Betriebskonzepte wurden so ausgelegt, dass korrekte Spannungen und Frequenzen im System gewährleistet sind. Um die Netzstabilität aufrechtzuerhalten, ist eine kontinuierliche und jederzeit verfügbare Mindestgrundlast erforderlich. Es muss ermittelt werden, wie viel Grundlastkapazität erforderlich ist, um andere Quellen, die keine Grundlast darstellen, zu unterstützen und eine Instabilität des Netzes über das Jahr 2030 hinaus zu vermeiden. Ein weiterer Anstieg der Durchdringung des Stromnetzes mit erneuerbaren Energien ohne eingehende Studien zur Quantifizierung der erforderlichen Durchdringung, die unter Berücksichtigung der lokalen Bedingungen toleriert werden kann, kann jedoch zu einer Instabilität des Netzes und damit zu anhaltenden Lastabwürfen und schliesslich zu Stromausfällen führen.

Viele europäische Länder verfügen über Netze, die mit ihren Nachbarländern verbunden sind, was ihnen Flexibilität und Unterstützung bei der Netzstabilisierung bietet. Studien zeigen zum Beispiel, dass Länder wie Deutschland und andere mit einem hohen Anteil an erneuerbaren Energien immer noch auf Grundlastkapazitäten wie Kohle und/oder Kernkraft im Inland und/oder im Ausland angewiesen sind, um die Nachfrage bei ungünstigen Wetterbedingungen zu decken. Südafrika hingegen hat nur begrenzten oder gar keinen Zugang zu alternativen Stromlieferungen aus nahe gelegenen Ländern, mit Ausnahme des Staudammprojekts Grand Inga in der Demokratischen Republik Kongo (das erst noch realisiert werden muss) und der Cahora-Bassa-Talsperre in Mosambik, um die Netzstabilität zu gewährleisten, und das ist eindeutig unzureichend. Andere Initiativen wie der Southern African Power Pool [gemeinsamer Strommarkt, der von den Staaten des südlichen Afrikas 1995 gegründet wurde] müssen noch weiter ausgebaut werden, damit die Region der Southern African Development Community in der Lage ist, die Energie über zusammengeschaltete Netze erfolgreich zu teilen.

Kohlekraftwerk Matla
Südafrika ist reich an Kohlevorkommen und besitzt deshalb zahlreiche Kohlekraftwerke, die Grundlastkapazität zur Verfügung stellen. Eines davon ist das Sechs-Block-Kohlekraftwerk Matla, das in der Provinz Mpumalanga im Nordosten des Landes liegt. Es wird mit Steinkohle aus der eigenen Matla-Kohlegrube versorgt, welche gemäss der Betreiberfirma Exxaro Tausenden von Arbeitnehmenden ein Einkommen bietet.
Quelle: Eskom

Der Umstieg von einer grundlastfähigen und regelbaren Energiequelle in Form von Kohle auf eine fluktuierende Energiequelle wie Wind- und Sonnenenergie ohne Berücksichtigung der Auswirkungen auf die südafrikanische Wirtschaft, den sozialen Zusammenhalt und die Netzstabilität wäre kurzfristig eine Selbstsabotage und langfristig Selbstmord.

Daher wird die Nutzung der reichlich vorhandenen Uranressourcen sicherstellen, dass Südafrika über genügend Energie verfügt, um die Energieversorgungssicherheit zu gewährleisten, welche die Souveränität des Staates weiterhin stärken und garantieren wird. Ich bin sogar der Meinung, dass Uran dringend zu einer strategischen Ressource gemacht werden muss, um die künftige Versorgung mit nuklearem Brennstoff zu sichern ‒ sei es vor Ort, auf dem Kontinent oder weltweit. Dies, weil die Kernkraft der Weg in die Zukunft ist. Wenn wir sie ignorieren, ist das zu unserem eigenen Schaden.

Golderz mit Uraninit aus Südafrika
Südafrika besitzt – wie andere Länder Afrikas – bedeutende Uranvorkommen. Typischerweise wird Uran in Südafrika als Nebenprodukt aus dem Gold- und Kupferbergbau erhalten. Grosse Vorkommen an Gold und Uran liegen vor allem im Witwatersrand-Becken südwestlich von Johannesburg. Im Bild ein hochgradiges Golderz aus der Blyvooruitzicht-Goldmine in der Nähe von Johannesburg. Das Erz enthält viel Uran in Form von Uraninit (Pechblende, Urandioxid), das eine schwarze Farbe und einen fettigen Glanz aufweist.
Quelle: Carbon Leader Gold Ore von James St. John / Flickr, CC BY 2.0

Umweltschutz
Stabile und effiziente Grundlastenergie in Form von Kernenergie kann in Verbindung mit anderen Formen erneuerbarer Energien genutzt werden, indem man ihre Lastfolgefähigkeit ausnutzt, bei der die Energieabgabe so angepasst wird, dass sie niedriger ist, wenn der Wind stark weht, und schnell hochgefahren wird, um die benötigte Energie zu erzeugen, wenn der Wind nicht weht, aber mehr Energie benötigt wird. Diese Fähigkeit ist natürlich besonders bei kleinen, modularen Reaktoren (Small Modular Reactors, SMRs) und anderen neuen Kernenergietechnologien gegeben, bei denen die Lastnachführung viel besser funktioniert als bei anderen Energiequellen, wie z. B. bei bestehenden Kohlekraftwerken, die unter stark schwankenden Bedingungen nicht gut arbeiten.

Die Energiedichte von nuklearem Brennstoff ist hoch, sodass er viel grössere Energiemengen freisetzen kann als die Verbrennung von Kohle oder Gas. Man muss zugeben, dass zur Verringerung kohlenstoffhaltiger Emissionen auf der Stromversorgungsseite die nukleare Stromerzeugung sowie die erweiterte Nutzung von Sonnenlicht, Wind und anderen erneuerbaren Energiequellen mit der Verfügbarkeit massiver Speicher (d. h. mögliche flexible Optionen wie Batterien, deren Kosten laut Forschung noch recht hoch sind) und ohne Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen als Backup in Betracht gezogen werden sollten. Solar- und Windenergieanlagen stossen bei der Stromerzeugung kaum CO2 aus, ebenso wenig wie die Stromerzeugung aus Kernenergie. Um jedoch die gleiche Strommenge zu erzeugen wie ein einzelner Kernreaktor (d. h. 1000 MWe), der eine kleine Landfläche einnimmt, benötigt man eine riesige Fläche, die sich in der Regel in einer abgelegenen Gegend befindet, in dem es keine Netzinfrastruktur gibt, was zu erheblichen Baukosten führt.

Studien haben gezeigt, dass der schnellste Weg zu einer erschwinglichen, zuverlässigen und kohlenstoffarmen Energiezukunft einen erheblichen Anteil an Kernenergie erfordert, da sie rund um die Uhr kohlenstoffarmen Strom erzeugen kann und die ideale Ergänzung zu Wind- und Solarenergie darstellt.

Lebensgrundlagen
Die Lebensdauer eines Kernkraftwerks beträgt 60 Jahre und ist damit in der Regel dreimal so lang wie die von Wind- oder Solarenergieanlagen mit etwa 20 Jahren. Daher ist die Kernenergie erforderlich, um den Bedarf an langfristiger, stabiler Energie zu decken, während Wind- und Solarenergie fluktuierenden Strom auf mittlere bis lange Sicht liefern. Die Errichtung dieser Kernkraftwerke wird Arbeitsplätze im Fertigungs- und Konstruktionssektor während der Bauphase sowie Arbeitsplätze während des 60 bis 80 Jahre dauernden Betriebs, einschliesslich zusätzlicher Arbeitsplätze bei der Stilllegung, schaffen. Weitere wichtige langfristige Vorteile sind die Auswirkungen auf andere Branchen.

Mit dem Aufkommen von SMRs, die sich allerdings noch in der Entwicklung befinden, unterscheidet sich die Kernenergie von anderen Energiequellen insofern, als SMRs als Ersatz für die Stilllegung von Kohlekraftwerken betrachtet werden können, sofern die erforderlichen Vorschriften eingehalten werden. Dies liegt daran, dass diese Technologien standortflexibel sind und im Baukastensystem errichtet werden können. Dadurch werden nicht nur Arbeitsplätze in den von der Kohle abhängigen Gemeinden erhalten und verhindert, dass sie zu Geisterstädten werden, sondern es würde auch zu wirtschaftlichem Wachstum in diesen Gebieten führen.

Es ist bekannt, dass sich zahlreiche Industrieländer auf eine kohlenstofffreie Wirtschaft zubewegen, um das Ziel für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen (United Nations Sustainable Development Goal, UN DSG) von Netto-Null bis 2050 zu erreichen. Es ist jedoch auch erwähnenswert, dass es kein Land gibt, das gezeigt hat, dass die Industrialisierung durch den Einsatz erneuerbarer Technologien und flexibler Stromerzeugung unter Ausschluss fester Grundlastkapazitäten erreicht werden kann. Wenn wir diesen Weg einschlagen, wird Südafrika zu einem experimentellen Versuchskaninchen – doch zu welchem Preis?

Ganz einfach: eine gerechte Energiewende muss gelingen!

Princess Mthombeni und Naphtali Mokgalapa
Naphtali Mokgalapa (rechts) ist Ingenieur für nukleare Sicherheit bei der South African Nuclear Energy Corporation (NECSA), einem staatlichen Forschungs- und Entwicklungszentrum im Bereich Kernenergie. Aktuell ist er der stellvertretender Projektleiter für den neuen «Multipurpose Nuclear Research Reactor (MRP)», der den 56 Jahre alten südafrikanischen Safari-1-Forschungsreaktor ersetzen soll. Naphtali Mokgalapa machte seinen Bachelor in Physik an der Universität Kapstadt. Für sein Masterstudium und das Doktorat in Nukleartechnik ging er in die USA an die University of Missouri in Columbia. Geforscht hat er im Bereich Kernreaktorphysik und sich dabei mit Analysen und Sicherheitsberechnungen beschäftigt. Zusammen mit Princess Mthombeni (links) hat er im Oktober 2021 Africa4Nuclear gegründet. Dies ist eine innovative Informations- und Wissensplattform, die unter anderem auf Social-Media-Kanälen (z.B. Twitter, YouTube) aktiv ist.
Quelle: Screenshot YouTube-Video Africa4Nuclear

Verfasser/in

Naptali Mokgalapa, Nuklearingenieur aus Pretoria, Südafrika

Quelle

Der Beitrag ist erstmals im Newsletter «Voice of» der «Nehawu Nuclear Energy Workers» (NNEWO) erschienen und wurde mit freundlicher Genehmigung der Chefredaktorin Princess Mthombeni reproduziert.

Weiterführende Informationen:
Website «Nuclear Power in South Africa» der World Nuclear Association (WNA)
Jahresstatistik «Statistics of utility-scale power generation in South Africa in 2021» des Rats für wissenschaftliche und industrielle Forschung (CSIR)
Plan für Stromkapazitäten «Integrated Resource Plan» (IRP2019) der Regierung Südafrikas
Zusammenfassung und Kommentar zum IRP2019 der afrikanischen Full-Service-Anwaltskanzlei Cliffe Dekker Hofmeyr (CDH)
Artikel «Viewpoint: Nuclear energy is critical to Africa's agenda for sustainable development» von Princess Mthombeni auf World Nuclear News (WNN)
Artikel «Nukleartechnologie für Afrikas Agenda für nachhaltige Entwicklung»von Princess Mthombeni auf der Website des Schiller-Instituts
Website zum Zweck von Africa4Nuclear
Eintrag zu «Witwatersrand Gold-Uran-Seifenlagerstätte» aus Lexikon der Geowissenschaften, Spekturm.de

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