Eine Energiewende ohne schmerzhafte Opfer ist nicht zu haben

In seiner Energiestrategie geht der Bund davon aus, dass die Klimaneutralität bis 2050 ausschliesslich mit erneuerbarer Energie und zu moderaten Kosten erreicht werden kann. Die Überprüfung zeigt: Das Ziel ist grundsätzlich erreichbar, es müssen dafür aber gewichtige Abstriche beim Landschaftsschutz in Kauf genommen werden.

2. Mai 2023
Kernkraftwerk Leibstadt
Quelle: Kernkraftwerk Leibstadt

In den technischen Berichten der Energieperspektiven 2050+ legt der Bund anhand von verschiedenen Szenarien dar, wie die Energiestrategie konkret umgesetzt werden soll. Gemäss dem Basisszenario wird der Stromverbrauch trotz einer Bevölkerungszunahme um 14% und fast vollständiger Elektrifizierung des Energiesystems bis 2050 um lediglich 29% ansteigen. Der Bund geht weiter davon aus, dass dieser Mehrbedarf sowie der Zusatzbedarf wegen dem Wegfall der Kernenergie weitgehend mit Gebäudefotovoltaik, sowie mit etwas Windenergie und Geothermie gedeckt werden kann. Der bei einem solchen Produktionsmix im Winter fehlende Strom wird, so die Annahme, von der europäischen Windkraft geliefert. Zudem sollen grosse Importe von Biogas und Wasserstoff helfen, allfällige Versorgungsengpässe zu überbrücken.

Diese Schlussfolgerungen sind umstritten und werden auch von wissenschaftlicher Seite kritisiert. Der Hauptvorwurf lautet, dass der notwendige Umbau des Energiesystems von den Behörden zu optimistisch dargestellt und die damit verbundenen Kosten unterschätzt werden.

Und tatsächlich können die Schlussfolgerungen der Energiestrategie mithilfe der dazu publizierten Berichte nicht nachvollzogen werden. Selbst der 461 Seiten starke technische Bericht zu den Energieperspektiven 2050+ enthält eine Vielzahl von nicht nachvollziehbaren Annahmen zur zukünftigen Entwicklung von Nutzungsverhalten, Technologieeinsatz und Energieeffizienz und Verweise auf interne Modelle der Berichtsautoren, welche eine Überprüfung praktisch unmöglich machen.

Ich wollte es trotzdem genauer wissen und habe in meinem Blog
(www.georgschwarz.ch/energiewende) die Szenarien der Energieperspektiven 2050+ mit einem vereinfachten Ansatz zu plausibilisierten versucht. Um das Resultat vorwegzunehmen: Das Klimaziel ist mit erneuerbaren Energien auch ohne Kernenergie erreichbar. Aber nicht so, wie es vom Bund dargestellt wird.

Das Basisszenario der Energieperspektiven 2050+ ist ein Schönwetterszenario und geht von überaus optimistischen Annahmen aus. Das vorgeschlagene Energiesystem setzt im Wesentlichen auf Gebäudefotovoltaik als Stromlieferantin. Doch leider ist Gebäudefotovoltaik aus technischer Sicht mit Abstand die schlechteste Lösung. Der Strom fällt vor allem dann an, wenn wir ihn nicht brauchen. Im Winterhalbjahr, wenn die Wärmepumpen betrieben werden müssen, liefern Fotovoltaikanlagen auf Gebäuden lediglich 26% ihrer Jahresproduktion. 74% wird im Sommer produziert, wenn der Stromverbrauch geringer ist. Zudem ist Gebäudefotovoltaik mit durchschnittlichen Produktionskosten von 120 CHF/MWh die zweitteuerste aller erneuerbaren Stromquellen. Nur Strom aus Kleinwasserkraftwerken kostet mit 125 CHF/MWh noch etwas mehr.

Andererseits beeinträchtigen Fotovoltaikanlagen auf Gebäuden die Landschaft nicht, weshalb sie in der Bevölkerung auch weitgehend unumstritten sind. Einsprachen sind selten. Geplante Projekte lassen sich deshalb, im Unterschied zu anderen Produktionsanlagen, auch zeitnah umsetzen.

Mit der Priorisierung der Gebäudefotovoltaik beschreiten die Energieperspektiven 2050+ den Weg des geringsten Widerstandes. Die Hauptproduktion mittels Gebäudefotovoltaik hat jedoch zur Folge, dass im Winter ein Versorgungsengpass entsteht. Die Schweiz wird deshalb künftig für die Deckung ihres Winterbedarfes in weit höherem Masse auf Importe angewiesen sein als heute. So geht das Szenario ZERO Basis (KKW50) der Energieperspektiven 2050+ im Winterhabjahr 2034 von Nettoimporten von 15,6 TWh aus. Dies entspricht einer Verdreifachung gegenüber heute.

Generell wird dem Aspekt der Versorgungssicherheit in der Energiestrategie nur eine geringe Bedeutung zugemessen. Wie die aktuelle Krise zeigt, sind die benötigten Importe jedoch keinesfalls gesichert, falls die Energie in Europa einmal knapp werden sollte.

Anders als es die Energieperspektiven 2050+ nahelegen, gibt es durchaus Alternativen zur Gebäudefotovoltaik, welche das Ziel Netto-Null auch ohne Kernenergie erreichen lassen: Windturbinen und alpinen Solaranlagen liefern 66% resp. 55% ihrer Jahresstromproduktion im Winterhalbjahr, wenn der Strom gebraucht wird. Mit 88 CHF/MWh resp. 103 CHF/MWh sind sie zudem auch deutlich kostengünstiger. Leider haben Wind- und alpine Solaranlagen auch gewichtige Nachteile: Für die sichere Stromversorgung der Schweiz braucht es 5000 Windturbinen und 70 km2 Solaranlagen in den Alpen. Dies ist ein massiver Eingriff in das Landschaftsbild der Schweiz. Dieser Ausbau wird deshalb auf heftigen Widerstand stossen.

Doch ohne umstrittene Produktionsanlagen ist die Energiewende nicht machbar. Meine Berechnungen zeigen, dass die einzige unumstrittene Produktionstechnologie, die Gebäudefotovoltaik für eine sichere Stromversorgung nicht ausreicht. Im Winter müssen zwingend auch umstrittene Produktionsanlagen wie Wind- und alpine Solaranlagen miteinbezogen werden.

Erschwerend kommt hinzu, dass für den Bau von Windturbinen und alpinen Solaranlagen hohe gesetzliche Hürden bestehen. Aufgrund der bestehenden Einsprachemöglichkeiten werden neue Windenergieprojekte stark verzögert oder gar verhindert. Die Erstellung von Fotovoltaikanlagen auf Freiflächen ausserhalb von Bauzonen ist heute sogar grundsätzlich verboten.

Das Parlament hat erkannt, dass die aktuellen gesetzlichen Hindernisse gegen grosse Wind- und Solaranlagen abgebaut werden müssen, damit sie im benötigten Massstab auch realisiert werden  können. Die damit verbundene politische Debatte wird endlich die Fragen diskutieren müssen, welche in der Energiestrategie des Bundes bisher tunlichst vermieden wurden: Welche Kompromisse sind wir bereit einzugehen, um die Klimaziele zu erreichen? Sind wir bereit, bisher unberührte Berglandschaften, welche nicht zuletzt auch für den Tourismus wichtig sind, für die Versorgungssicherheit zu opfern? Oder wollen wir am Ende vielleicht trotz allem lieber mit der Kernenergie leben? Denn eines sollte inzwischen ist klar geworden sein: Ohne Kernenergie ist die Energiewende mit schmerzhaften Opfern beim Landschaftsschutz verbunden.

Georg Schwarz

Georg Schwarz studierte an der ETH-Zürich Geophysik und promovierte zum Thema Aeroradiometrie. Nach Tätigkeiten bei der ETH-Zürich und als selbständiger Softwarespezialist trat Georg Schwarz 1994 in die Hauptabteilung für die Sicherheit der Kernanlagen (HSK) – die Vorgängerorganisation des Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorats (Ensi) – ein und war dort in verschiedenen Positionen tätig. Im Jahr 2009 übernahm Georg Schwarz die Leitung der Abteilung Kernkraftwerke des Ensi und war zudem bis Ende 2021 dessen stellvertretender Direktor. Seither ist der gebürtige Bündner als selbständiger Berater tätig und äussert sich auf seinem Blog georgschwarz.ch zur aktuellen Energie- und Klimadiskussion.

Verfasser/in

Georg Schwarz, Selbständiger Berater

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